Die Eisenbahn, welche die Moderne ebenso feiert, aber auch kritisiert, ist untrennbar mit der Ideologie des siegesgewissen Fortschritts im Industriezeitalter verbunden und erzeugt in der künstlerischen Imagination erstaunlich widersprüchliche Effekte. Züge verkörpern den Rationalismus wie das Irrationale.
Indem die Futuristen die Geschwindigkeit und die Bewegung der Maschinen preisen, geben sie sich einer glühenden Leidenschaft für das Werden der Dinge hin. Im Surrealismus nähren Eisenbahnkatastrophen und Reiseberichte nicht nur dunkle Fantasmen, sondern der Zug enthüllt auch ein erotisches und poetisches Potenzial als Instrument für Tagträume und die Entstehung von Metonymien und visuellen Metaphern. In der Kunst von Edward Hopper und Paul Delvaux sind menschenleere Züge und Bahnhöfe von Geheimnis und Einsamkeit geprägt. Die Bahnhöfe sind keine Orte für Eisenbahner oder Passagiere, sondern bieten Raum für Traum und Illusion, Langeweile und Traurigkeit. Die Züge kennen weder Fahrpläne noch Passagiere oder Ziele.
Obwohl die Eisenbahn im kollektiven Traum von der Eroberung neuer Räume vom Flugzeug und bald auch von der Rakete verdrängt wird, verschwindet sie nicht aus der Vorstellungswelt der Kunstschaffenden der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die sich die Modelleisenbahn aneignen, dieses Kinderspielzeug verfremden und ihm seine Unschuld rauben.
Als Bannerträger der Moderne lädt der Zug Sie zu imaginären Reisen ein.
Ausstellungskurator: Camille Lévêque-Claudet, Konservator.